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Impuls zum 17. Juli 2022

Zum 16. Sonntag im Jahreskreis

Von Dr. Ute Zeilmann, Kommission Migration, Bremen

Zum Einstieg
Zitat aus einem Artikel von Marleen Stoessel vom 3. Dezember 2017, erschienen auf der Homepage von Deutschlandfunk (https://www.deutschlandfunk.de/das-verhaeltnis-zum-fremden-gastfreundschaft-ein-kulturerbe-100.html)

„Gastfreundschaft – ein Kulturerbe der Menschheit
Gastfreundschaft ist eines der ältesten menschlichen Kulturgüter überhaupt, da sie unser Verhältnis zum Fremden regelt. An Beispielen aus Religion, Mythos, Kulturgeschichte und Literatur beleuchtet Marleen Stoessel ihre zumeist ungeschriebenen Gesetze.

Jede Gruppierung, Gesellschaft, jede Nation erweist die Höhe ihrer Kultur am Grad, in dem sie bereit und fähig ist, das Andere, das Fremde, den Anderen, den Fremden aufzunehmen, sein Anderssein, seine Fremdheit, ja gerade auch sein Nichtverständliches zu respektieren.

Vor einiger Zeit hat eine in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Schweizer Studie unsoziales, feindseliges Verhalten gegenüber Angehörigen fremder Gruppen als tief in der Evolution verankerten Impuls ausgemacht. Wenn es daher etwas gibt, worauf ein Volk, eine Gemeinschaft, eine Nation wahrhaft „stolz“ sein könnte, dann auf die Ausbildung eines anti-evolutionären Impulses – als Sinn aller wahren Kultur und Humanität.“

Wir können stolz sein, wenn wir eine großzügige Willkommenskultur und Gastfreundschaft als Gesellschaft pflegen. Stattdessen wollen zunehmend mehr Menschen auch in unserem Land wieder stolz darauf sein, deutsch zu sein. Männer sollen stolz sein auf patriotische Männlichkeit. In solche Richtung gehen gezielt politische Strömungen und Parteien. Natürlich ist es vermeintlich leichter, evolutionären Impulsen zu folgen, schließlich könne ein Mensch nicht gegen die Natur handeln. Damit hat man eine perfekte Erklärung für Ausgrenzung und Abgrenzung, braucht dafür nicht ein Mal mehr eine Entschuldigung: Wir können von unserer Veranlagung und Natur her gar nicht anders. 

Menschenwürde oder biblisch gesprochen Gottebenbildlichkeit des Menschen gibt es in der Natur aber nicht, sie ist das Ergebnis von Kultur, das Ergebnis von Schöpfung. Wenn ich also auf das „Deutschsein“ stolz sein will, ist das, was auch immer man darunter verstehen mag, stolz sein auf deutsche Kultur. 

Erst seit wenigen Jahrzehnten versteht sich unsere Gesellschaft als eine offene Gesellschaft, als Einwanderungsland und Migrationsgesellschaft, wie das ökumenische Papier „Migration menschenwürdig gestalten“ uns in Erinnerung ruft. Im Vergleich zu arabischen Ländern hatten wir Gastfreundschaft anscheinend verlernt, haben unseren Sinn von Humanität aufgegeben. Die große Bereitschaft, ukrainischen Kriegsgeflüchteten Gastfreundschaft zu gewähren, darf nicht die dunklen Stellen der Abwehr und Abgrenzung an Europas Außengrenzen überstrahlen. Gastfreundschaft ist und bleibt eine kulturelle, wie politische Herausforderung, die Religion als Unterstützung braucht. Schließlich ermuntert uns ein Zitat im Hebräerbrief zu einer großzügigen Willkommenskultur: 

Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt! (Hebr 13,2)

Lied
Bleibe bei uns, Du Wandrer durch die Zeit (GL 325) 

Gebet
Gott, die Bilder vom Leben im Himmel, ganz bei Dir, sind geprägt von großer Gastfreundschaft. Du lädst alle ein, an Deinem Tisch Platz zu nehmen, bei Dir sind viele Wohnungen für uns Menschen. Dieser Glaube sollte uns ermutigen, eine Haltung der Gastfreundschaft hier auf Erden zu leben, wo uns in der Tat nicht jeder Gast gleich sympathisch ist, uns herausfordert, uns fremd ist. Jesus hat bewusst mit denen am Tisch gesessen, mit denen die meisten nichts zu tun haben wollten und provozierte damit die politischen und religiösen Verantwortlichen. So wollen auch wir sein, die wir ihm nachfolgen, die wir auf seinen Namen getauft sind. Gib uns den Mut und die Kraft, nicht nur Freund:innen und Bekannte in unser Haus aufzunehmen, sondern in unserem Land, Gastfreundschaft in einer fairen, loyalen und solidarischen Willkommens- und Integrationskultur zu leben. AMEN

Schriftwort aus dem Buch Genesis, Kapitel 18
1 Der HERR erschien Abraham bei den Eichen von Mamre, während er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. 2 Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes aus entgegen, warf sich zur Erde nieder 3 und sagte: Mein Herr, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, geh doch nicht an deinem Knecht vorüber! 4 Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. 5 Ich will einen Bissen Brot holen, dann könnt ihr euer Herz stärken, danach mögt ihr weiterziehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen. Sie erwiderten: Tu, wie du gesagt hast! 6 Da lief Abraham eiligst ins Zelt zu Sara und rief: Schnell drei Sea feines Mehl! Knete es und backe Brotfladen! 7 Er lief weiter zum Vieh, nahm ein zartes, prächtiges Kalb und übergab es dem Knecht, der es schnell zubereitete. 8 Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er selbst wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen. 9 Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er. 10 Da sprach er: In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben.

Impuls
Wer ist im Orient eigentlich so doof und wandert während der Mittagshitze umher? Für Abraham, der vor seinem Zelt im Schatten der Eichen von Mamre vor sich hindöst, ist eines sofort klar: Diese drei Leute sind wirklich Fremde, überhaupt nicht inkulturiert. Sonst würden sie nicht in der Mittagszeit auftauchen, sondern hätten sich auch ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen gesucht. 
Der dösende Abraham aber kann nicht einfach weiterschlafen und so tun, als hätte er sie nicht gesehen. Er sieht sie und läuft ihnen sogar entgegen, wirft sich vor ihnen nieder, vor fremden Leuten, die ihm nicht mal die Mittagsruhe gönnen können. Hätte er nur die Augen zugelassen…, so wie viele Menschen anscheinend die Augen verschließen können vor den Zuständen in den Lagern in Libyen, vor den überfüllten Rettungsbooten und den Ertrunkenen. Ein CDU-Ministerpräsident sagte vor einem dreiviertel Jahr sogar, wir müssen uns daran gewöhnen, das Leid so vieler Geflüchteter zu sehen. Abraham aber kann seine Augen nicht verschließen und das nicht nur, weil er vielleicht ahnt, dass göttlicher Besuch vor ihm ist und dieser ist ja noch vielmehr fremd. Die kulturelle Fremdheit des Besuchs führt zu keiner abwehrenden und abgrenzenden Haltung, sondern im Gegenteil zu einer zuvorkommenden, einladenden, respektvollen Haltung. 

Abraham bietet seinem Gast alles an, was er hat, schließlich wird in Vers 3 klar, dass eigentlich nur einer bei Abraham ist, die zwei anderen wurden aus redaktionellen Gründen bei der sekundären Verbindung der Erzählung von der Sohnverheißung an Sara und der Erzählung vom Untergang der Städte Sodom und Gomorrha hinzugefügt. Die Redaktoren haben das nicht ganz sauber in Gen 18,1-10 nachgetragen. Und Gen 18 enthält somit auch nicht den geheimnisvollen Hinweis auf das dreieinige Gottesbild, das sei nebenbei bemerkt, zumindest nicht nach exegetischen Kriterien. 

Abraham bietet Reinigung, Wellness, Schatten, Ruhe und vor allem auch Essen an, schließlich kann die Ankunft des Besuchs zu ungünstiger Tageszeit auch bedeuten, dass Hunger und Not diesen Menschen in Bewegung setzten. So wie wir Zeuginnen und Zeugen sind, wie sich Millionen Menschen durch Hunger, Not und Krieg in Bewegung setzen, um in Sicherheit leben zu können. Jetzt werden viele sagen: Ja, Essen und Möglichkeit, sich zu waschen, haben Menschen doch auch in den Lagern in Griechenland oder außerhalb der europäischen Union. Zweifelsohne wird versucht, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, aber wir sehen doch auch oft oder hören es von Menschen, die in solchen Camps Geflüchteter arbeiten oder leben, dass das Essen oft nicht reicht, Wasserleitungen nicht richtig funktionieren und man stundenlang warten muss, bis man die sanitären Einrichtungen benutzen kann. Und ob so was überhaupt in den Lagern in Libyen beispielsweise da ist, ist eine weitere Frage. Die steigenden Getreidepreise werden die Versorgung auch von Migrant:innen nicht verbessern. 
Doch Abraham tischt dann seinem Besuch nicht nur einen Bissen Brot auf, sondern lässt aus 3 Sea Mehl Brotfladen backen und ein Kalb schlachten. Selbst wenn doch drei Personen zu Besuch waren ist das übertrieben: 3 Sea Mehl entsprechen, je nach Umrechnungstabelle 21,8 oder 36 Liter Mehl! Davon lassen sich jede Menge Brotfladen backen. Abrahams Gastfreundschaft ist überwältigend großzügig, fast schon verschwenderisch und enthält damit aber einen deutlichen Appell: Gastfreundschaft darf niemals geizig sein. Es gilt, nicht nur Grundbedürfnisse zu befriedigen und das billigste Essen in kleinsten Rationen zur Verfügung zu stellen, sondern großzügig teilen, das Beste zur Verfügung zu stellen, alle Chancen zu ermöglichen. Abraham hat zwar wenig Aufwand damit, weil die Essenszubereitung Sara und die Dienerschaft im Zelt übernehmen, aber die Zutaten sind alles sein Besitz, den er großzügig teilt, weil er auch weiß, er hat es nicht für sich allein, wer Gast ist darf daran partizipieren. 

Der Gipfel dieser Geschichte und Hauptadressat ist allerdings Sara und die Verheißung, dass sie einen Sohn bekommen wird trotz ihres hohen Alters und bisherigen Unfruchtbarkeit. Hier gerät die Erzählung allerdings etwas in Schieflage, so als wäre diese Sohnverheißung eine Belohnung für die großzügige Gastfreundschaft des Erzelternpaars. Doch so ist es nicht, der Besuch hatte von Anfang an das Ziel, Sara den Sohn zu verheißen, Abraham und Sara hatten es nicht erwartet, daher lacht Sara zunächst auch, kann im Fortgang der Geschichte gar nicht ernst nehmen, was der Besuch da verspricht. Lohn und Dankbarkeit hatten beide nicht für diese Gastfreundschaft erwartet. Alles geschieht aus Respekt, aus einem kulturellen und religiösen Bewusstsein heraus, füreinander verantwortlich zu sein, füreinander zu sorgen, vor allem für Fremde und im Bewusstsein, dass in jedem Menschen Gott selbst zu Gast sein kann und Gast ist. 

Gastfreundschaft ist also mehr als ein Kulturerbe der Menschheit, es ist eine theologische Haltung, ein theologischer Umgang mit den Mitgeschöpfen: Wir sind zu Gast auf Gottes Erden und sind füreinander nur Gäste, die sich wechselseitig in Gastfreundschaft begegnen. Gastfreundschaft, Willkommenskultur, Migrations- und Integrationsgesellschaft ist nicht nur eine politische Aufgabe. Für Getaufte müsste sie zu einer Haltung werden, die revolutionär sein könnte und sogar Grenzen überflüssig macht, da wir alle nur füreinander Gäste sind und miteinander großzügig teilen, was wir von Gott geschenkt bekommen haben. Aus dieser Haltung entsteht, und das nicht als Lohn, verheißungsvolles Leben und verheißungsvolle Zukunft. 

Fürbitten mit einer Kollekte
(Idee, sich einen Geldbetrag überlegen, den wir teilen können und wollen und dann auch im Lauf der Woche weitergeben)

  1. Ich teile mit den Menschen, die in die Ukraine zurückkehren, obwohl dort noch Krieg ist. Möge meine Gabe helfen, dass sie dort gut versorgt sind. 
  2. Ich teile mit den Menschen, die in den Lagern für Geflüchtete warten, bis der Familienzuzug möglich ist und Angst vor Folter und Vergewaltigung haben. Möge meine Gabe helfen, dass sie mehr Sicherheit bekommen.
  3. Ich teile mit den Kindern, die für unsere smarten Produkte arbeiten müssen oder für andere Luxusprodukte. Möge meine Gabe helfen, dass sie nicht mehr zur Arbeit gezwungen werden, sondern in die Schule können. 
  4. Ich teile mit allen Frauen und Kindern, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Möge meine Gabe helfen, dass sie neue Orte der Geborgenheit finden. 
  5. Ich teile mit allen Menschen, die kein Zuhause haben, die auch in reichen Ländern zu wenig haben, nicht mal ein Dach über dem Kopf. Möge meine Gabe helfen, dass ihre Situation zumindest kurzfristig gelindert wird. 

Vater unser

Lied
Im Frieden Dein, o Herre mein (GL 216)

Segen
Möge der Mensch, der heute als erster deine Türschwelle betritt, dich mit einem Lächeln des Willkommens antreffen.

Altirischer Segenswunsch

 

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